Geschichte Allgemein

Die Steinzeit (600.000 - 2.800 / 2.700 v. Chr.)

Anthropologische Überreste und Werkzeuge, die seit den letzten Jahrzehnten laufend ans Tageslicht gebracht werden, bestätigen immer mehr das Vorhandensein von paläolithischen Menschen in Griechenland (ca. 600.000 bis 8.000 v. Chr.).

Das Vorherrschen des Homo Sapiens brachte - nach einer kurzen Zwischenphase der Mittelsteinzeit (8.000 bis 7.000 v. Chr.) - eine dynamische jungsteinzeitliche Kultur mit sich, die reiche Spuren im griechischen Raum und besonders in Thessalien hinterließ (7.000 bis 2.800 / 2.700 v. Chr.).

Ackerbau, Viehzucht und das Errichten von festen Unterkünften sind die Hauptbeschäftigung des frühen Jungsteinzeitmenschen. In dieser Zeit lernte der Mensch das Formen von Tongefäßen und das plastische Darstellen des menschlichen Körpers mit einzigartiger naturalistischer Kraft; wie wir jetzt wissen, entwickelten sich diese Elemente und fanden in der Mittelsteinzeit (5.000 bis 4000 v. Chr.) und in der Spätjungsteinzeit (4.000 bis 3.000 v.Chr.) ihre volle Ausdruckskraft.

So zeigen die Ausgrabungen von Sesklo (jungsteinzeitliche Burg 8 km westlich von Volos) in der Tat ganz erstaunliche Beispiele einer von großer Inspiration und handwerklichem Geschick zeugenden Keramik. In Sesklo haben wir den ersten Beweis einer organisierten, befestigten Siedlung mit engen Straßen, Höfen und lehmziegelgedeckten Häusern, die das zentrale und größere Wohnhaus des Häuptlings umgaben. In Dirnini (4 km westlich von Volos), wo die Notwendigkeit einer wirkungsvollen Verteidigung eine radikalere Lösung verlangte, wurde das Haus des Herrschers durch sechs konzentrische Befestigungsringe geschützt, in die verstreut vertikale Mauern gefügt waren, um den Zugang zum Haus zu versperren.

Diese höchst bemerkenswerte neolithische Kultur erschöpfte sich gegen Ende des vierten Jahrtausends. Ihre Entwicklung kann man im Museum von Volos verfolgen, wo Relikte des Lebens und der Kunst dieser Wegbereiter menschlichen Fortschritts ausgestellt sind.

Die Bronzezeit (2.800 / 2.700 - 1.100 v. Chr.)

Für die ägäische Welt brach Anfang des dritten Jahrtausends eine neue Ära an. Die Einführung von Metall aus dem Orient brachte die Entwicklung der Schifffahrt und des Handels mit sich sowie eine schrittweise Veränderung der sozialen Struktur, die in der eng begrenzten jungsteinzeitlichen Agrarwirtschaft entstanden war. Zu dieser Zeit etwa entstanden und entwickelten sich nahezu gleichzeitig die drei ersten größeren europäischen Kulturen: die Kykladenkultur, die kretische oder minoische Kultur und die helladische, deren letzte Phase besser bekannt ist unter der Bezeichnung mykenische Kultur.

Die Kykladenkultur:

Die Ausbreitung des Gebrauchs von Metall gab den bereits mit der See vertrauten Kykladenbewohnern die Chance, den Handel systematisch aufzubauen und Verbindungen mit Kreta, dem griechischen Festland, Zypern und den Küsten von Kleinasien und Afrika herzustellen.

Die Frühe Kykladenkultur (3.200 bis 2.000 v. Chr.) hat einen ursprünglichen und starken Inselcharakter; ihre Spuren hat sie auf beinahe allen Inseln der Kykladengruppe hinterlassen (Paros, Syros, Naxos, Thera usw.). Gegenstände des täglichen Lebens (Waffen, Bronzewerkzeug, Steinvasen, Haushalts- und Ziergerät, Marmoridole) lassen auf hohen Lebensstandard schließen. Die Marmor-Idole drücken in der frühen Kykladenkultur eine ganz besondere Lebendigkeit und Strenge aus. Neben Stein- und Tonvasen und Gebrauchsgegenständen kann man im Nationalmuseum diese Marmoridole als das Werk von tüchtigen Handwerkern bewundern und eine Entwicklung von den gänzlich lebensnahen, naturalistischen Bildern zu den revolutionären Bildern des Flötenspielers und dem sitzenden Harfenspieler von Keros verfolgen. Gegen Ende des dritten Jahrtausends wurde die Aktivität der Bewohner der Kykladen auf dem Meere ganz empfindlich durch die Obermacht Kretas auf See beschnitten. Obwohl der Gipfel der Blütezeit überschritten war, hinterließ die mittlere Kykladenkultur (2.200 bis 1.550 v. Chr.) starke Spuren.

Auf den Inseln Milos (Filakopi 11), Paros (Parikia), Kea (Agia Irini) zeigen Ausgrabungen bedeutender Siedlungen viele Spuren des Einflusses von Griechenland und Kreta. In der letzten Periode der Bronzezeit (1.550 bis 1.100 v. Chr.) kamen die Kykladen unter den Einfluß der mykenischen Kultur.

Die Kretische (Minoische) Kultur:

Eine neue, mächtige Gruppe, Bewohner des Mittelmeerraumes, die im frühen dritten Jahrtausend nach Kreta einwanderten, brachte außer ihren Kenntnissen von der Weiterverarbeitung von Metall neue Lebensgewohnheiten mit sich, die wesentlich anspruchsvoller waren als die der alten jungsteinzeitlichen Bewohner der Insel. Viele Elemente ihrer tradierten konservativen Kultur lebten im Anfangsstadium der frühminoischen Ära weiter (2.600 bis 1.900 v. Chr.), verschwanden jedoch angesichts der assimilierenden Kraft des neuen minoischen Einflusses vollständig um 2.400 v. Chr.

Die vielfarbigen, geäderten Steinvasen, die man in frühminoischen Gräbern (Gräberfelder in Mochlos, in der Nähe von Sitia und Kuppelgräber der Messara) fand, und der Stil der in Agios Onoufrios und Vasiliki gefundenen außerordentlich reich verzierten Keramik sowie die erstaunliche Vorstellungskraft und Geschicklichkeit, die sich in den Metallarbeiten, besonders der Goldschmiede, manifestierten, beweisen, dass die Minoer bereits sehr früh Luxus und Bequemlichkeit suchten und zweifellos von dem beeinflusst waren, was in den von ihnen besuchten östlichen Ländern «en vogue» war. Der geistige und materielle Wert des Lebens, den die Kreter suchten, fand seinen Ausdruck in der folgenden mittelminoischen Periode (1.900 bis 1.550 v. Chr.). In dieser Zeit erreichte die Kunst eine Feinheit, mit der sich nur wenige Kulturen messen können. Plötzlich, um das Jahr 1.900 v. Chr., tauchten die großen Palastkomplexe von Knossos, Phaistos und Malia auf, in denen sich die Notwendigkeit widerspiegelt, eine mächtige, zentrale Autorität einzusetzen, die in der Lage ist, Gefahren von außen wirkungsvoll zu begegnen. Die Könige der frühen Palast-Periode (1.900 bis 1.700 v. Chr.) hatten ihre Handelsbeziehungen zu den Völkern des Ostens intensiviert. Die Kamares-Keramik, von höchst erstaunlichem künstlerischem Wert und reizvoller, mehrfarbiger Dekoration, war auf ausländischen Märkten sehr begehrt (Beispiele wurden in Ägypten und Kleinasien ausgegraben), während das prächtige minoische Silbergeschirr sogar in Byblos, Phönizien und in Ägypten gefunden wurde.

Die beinahe vollständige Zerstörung der Paläste durch Erdbeben um 1.700 v. Chr. unterbrach nicht das Tempo der Entwicklung, vielmehr wurden die Paläste sehr schnell wiederaufgebaut und noch einmal zum Mittelpunkt des administrativen, kulturellen und religiösen Lebens im Lande. Verwinkelt und mehrstöckig, hatten sie unzählige Korridore und Vorratsräume für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Werkstätten, Unterkünfte für das Verwaltungspersonal, für die Arbeiter und Diener. Die luxuriösen königlichen Gemächer und die Empfangshallen sind großzügig mit minoischen Fresken geschmückt. Die Künstler ließen sich von der Schönheit der sie umgebenden Natur inspirieren und gaben ihrer Neigung und ihrem Sinn für alles Schöne prunkhaften Ausdruck. Die Sommerpaläste der Könige von Knossos (das Gebäude in Archanas, 15 km südlich von Knossos) und Phaistos (Die Villa in Agia Trias, 3 km nördlich von Phaistos, mit ihren prächtigen Fresken, Gerätschaften und einem Archiv (in Linear «A» Schrift), die fürstlichen Residenzen in der Nähe von Knossos (Kleiner Palast) und in Maiia (Haus «E»), die Bauernhäuser und Villen, verstreut über das ganze östliche und mittlere Kreta, der Sitz des örtlichen Distriktgouverneurs (Nirou Hani, Sklavokambi, Vathipetro, Praissos usw.) und die eindrucksvollen Kuppelgräber mit den reichen Ornamenten, alle diese Beispiele zeigen den hohen Lebensstandard, den die Aristokratie jener Zeit der kretischen mittleren Palast-Ära genießt sowie das Feudalsystem ihrer Gesellschaft. Reste einiger minoischer Siedlungen geben in unserer Zeit ein gutes Bild von dem Leben zu damaliger Zeit.

In Gournia, 39 km östlich von Agios Nikolaos, wurden einige gut erhaltene Ruinen einer typisch minoischen Stadt ausgegraben, die zweistöckige Häuser zeigen in Stadtbezirken, die durch gepflasterte Umgehungsstraßen unterteilt werden.

Das Museum von Heraklion stellt die kostbaren Überreste einer großen Kultur aus, die plötzlich, im Zenith ihres Gedeihens und Wohlergehens, von Zerstörung heimgesucht wurde. Der Vulkanausbruch auf der Insel Thera um 1.500 bis 1.450 v. Chr. zerstörte alle kretischen Paläste und markierte den Beginn des Endes der minoischen Kultur. Bei eben diesem Anlass wurde auch die Hauptstadt auf der Insel Thera zerstört. Den stark spätminoischen Charakter dieser Stadt konnte man bei Ausgrabungen von Akrotiri im Jahre 1967 erkennen. Es wurden zwei- und dreistöckige Häuser freigelegt, riesige Lagerhäuser, gefüllt mit Geräten und Gefäßen, Straßen mit Steinpflaster und vor allem wunderbare Fresken, die die Wände der Räume schmückten (von denen einige im Nationalmuseum ausgestellt sind) und bei deren Anblick der Betrachter sich über die hochentwickelten Lebensbedingungen und die Kunst in der minoischen Kultur vor dem großen Unglück wundert.

Auf Kreta überdauerte lediglich der Palast von Knossos für eine kurze Weile (1.450 bis 1.400 v. Chr.) unter einer mykenischen Dynastie bis zu seiner endgültigen Zerstörung, diesmal durch Feuer, um das Jahr 1.400 v. Chr. Das Studium der spätmykenischen 111 Periode (1.400 bis 1.100 v. Chr.) bestätigt, dass Kreta jetzt nur noch eine Rolle am Rande spielte. Die mykenische Kultur hat auf dem Gipfel ihrer Entwicklung mit Sicherheit ihren Stab im Staffellauf an die helladische Kultur übergeben.

Die Helladische Kultur:

Die frühhelladische Kultur (2.800 / 2.700 bis 1.900 v. Chr.) war zumindest anfänglich (2.800 bis 2.500 v. Chr.) eine Mischung aus jungsteinzeitlicher örtlicher Tradition und östlichen Einflüssen. Im Laufe ihrer Entwicklung scheint sie sich jedoch zu einer ägäischen Kultur entfaltet zu haben, und zwar unterscheidbar von den Kulturen der frühen kykladischen und minoischen Perioden durch ihre Tendenz, dass Festlandgriechische beizubehalten. Einige Siedlungen und Gräberfelder sind in Attika, auf Euböa auf der Insel Ägina und Böotien ausgegraben worden. Am intensivsten wurde diese Periode jedoch in Lerne erforscht, wo man die Ruinen einer im Jahre 2.100 v. Chr. zerstörten Stadt ausgrub. Einige andere Siedlungen wurden ebenfalls gegen Ende des dritten Jahrtausends zerstört. Zahlreiche Völkerwanderungen waren der Anlass zur Schaffung der mittelhelladischen Kultur (1.900 bis 1.580 v. Chr.) in Griechenland. Zu Anfang dieser Periode ist ein Rückgang des in der frühhelladischen Periode erreichten Wohlstandes zu registrieren. Untersuchungen stimmen darin überein, dass diese Völkerwanderungen die Ankunft der ersten griechischsprechenden Indogermanen in Griechenland markieren.

Ihre Siedlungen, die sie gewöhnlich auf den Ruinen der frühhelladischen Siedlungen erbauten, waren meistens unbewehrt. Die Bewohner des griechischen Festlandes, die bereits den Glanz minoischen Lebens kennengelernt hatten, ließen sich bei der Schaffung ihrer eigenen mykenischen Kultur, die in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends in der gesamten ägäischen Welt unangefochten blieb, von diesem Vorbild leiten.

Die Mykenische (Späthelladische) Kultur:

Die Ausgrabungen, die Heinrich Schliemann 1876 auf einem steilen Hügel am südlichen Ende der Ebene von Argolis begann, brachten zum ersten Mal die prächtigen Überreste einer Kultur ans Licht, deren Erinnerung Jahrhunderte lang in den Legenden und Überlieferungen der Griechen wachgehalten worden war. Der tiefe Glaube Schliemanns, dieses Verehrers der Antike, an die Wahrheit von Homers Erzählungen bewies, dass die «goldene» Stadt Mykene und das heldenhafte Volk des Epos nicht bloße Erfindung eines blinden Dichters von Ionien waren. Die Tatsache, dass die mykenische Kultur griechisch war, wurde bestätigt, als die Linear «B» Schrift 1952 entziffert wurde. Die Tontäfelchen, die die Rechnungsberichte der letzten Phase der Geschichte des Palastes von Knossos (1.450 bis 1.400 v. Chr.) und die des Palastes von Pylos kurz vor der Zerstörung um 1.200 enthalten, sind Beweise für die erste griechische Sprache, die in dem helladischen Bereich gesprochen wurde. Die Kunst der frühmykenischen Periode (Späthelladisch I, 1.580 bis 1.500 v. Chr.), die man in den prächtigen Grabbeigaben der königlichen Schachtgräber im Gräberkreis A und B fand, war absolut von der minoischen Kunst beeinflußt, nach kretischen Vorbildern.

Die Zerstörung der kretischen Paläste um 1.500 v. Chr. gab den Mykenern die Möglichkeit, ihre Handelsbeziehungen in der Ägäis weiter zu entwickeln und sie nach der endgültigen Zerstörung des Palastes von Knossos im Jahre 1.400 v. Chr. zum Monopol auszubauen.

Weder aus der frühmykenischen Periode, noch aus Späthelladisch II (1.500 bis 1.425 v. Chr.) sind Spuren von Palastbauten vorhanden. Dennoch gab es zweifellos eine geordnete Gesellschaft, die von Königen und der Aristokratie regiert wurde, was belegt wird durch die ausgezeichneten Funde in den königlichen Schachtgräbern und der prachtvollen Architektur der Kuppelgräber dieser Zeit, von denen nur drei nicht geplündert wurden (in Midea in Argolis, Vafio in Lakonia und Mirsinochori in der Nähe von Pylos).

Mit Beginn der Periode Späthelladisch III (1.425 - 1.100 v. Chr.) breitete sich die mykenische Kultur am stärksten aus. Zahlreiche neue Siedlungen in Griechenland selbst, Koloniengründungen und Handelsniederlassungen im Osten und vor allem die Entstehung der stattlichen mykenischen Paläste mit ihrer strengen, einfachen Form des Festland-Herrensitzes (Hof, Säulengang, Vorhalle und erhöhte Plattform mit der zentralen Feuerstelle) mit ihren riesigen kyklopischen Mauern, zeugen von dem steigenden Lebensstandard und der zunehmenden Macht der zentralen Autorität. Um 1.300 v. Chr. waren die Paläste von Mykene, Tiryns, Theben und Pylos bereits gebaut, die zwei ersten von starken kyklopischen Mauern umgeben.

Die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der Mykener im gesamten östlichen Mittelmeer wurden im 13. Jh. v. Chr. immer umfangreicher; um etwa 1.250 v. Chr. hatte sich über das gesamte griechische Festland, die Kykladen, Kreta und die Küsten von Ägypten und Kleinasien eine homogene Kultur ausgebreitet. In dieser Zeit wurde die westliche Mauer der Burg von Mykene mit ihrem Nordtor und dem prachtvollen Löwentor errichtet. Zur selben Zeit baute man die Mauern um Athens Akropolis sowie die gewaltigen Mauern um die Burg Gla (Arne) in Böotien (Viotia).

Dies war aber auch die Zeit, als der Palast von Theben zerstört wurde, ein Unglück, das in der tragischen Geschichte der Legende von Labdacidae niedergelegt ist. In dieser rastlosen, turbulenten Zeit des 13. Jahrhunderts v. Chr. wurden Paläste zerstört, von denen einige nie wieder aufgebaut wurden (Krissa in Phokis, Gla in Böotien, Eglianos in Pylos und Nichoria in Messenia). Verschiedene Befestigungs- und Bewässerungsanlagen auf den Burgen beweisen, dass die mykenischen Herrscher von größeren Feinden von außen bedroht waren. Trotz größter Anstrengungen im ganzen 12. Jh. sahen sie sich gezwungen, alle ihre Burgen in der Mitte des 11. Jh. v. Chr. zu verlassen.

Beinahe überall in Griechenland fanden sich Reste der mykenischen Kultur. In den meisten griechischen Museen, besonders aber in der mykenischen Halle des Nationalmuseums kann der Besucher Geburt, Aufstieg und Niedergang einer der größten Kulturen der antiken Welt verfolgen.

Protogeometrische Zeit (1.025 - 900 v. Chr.) und Geometrische Zeit (900 - 700 v. Chr.)

Massenwanderungen der letzten griechischen Stämme, deren wichtigster die Dorer zu sein scheinen, dauerten volle drei Jahrhunderte (11., 10. und 9. Jh. v. Chr.). Die gemessen an den strahlenden mykenischen Jahrhunderten niedrige kulturelle Stufe dieser Zeit war Anlass, sie zunächst das «griechische Mittelalter» zu nennen. Doch hatte diese Zeit trotz des Rückgangs der Sozialstruktur und der Kunst einen wichtigen Grundzug, und zwar wurden sich die griechischen Stämme ihrer Volkseinheit bewusst. Die Schaffung altgriechischer Kultstätten wie Delphi, Olympia, Dodona usw., die Gründung allgemeiner athletischer Wettspiele (erste Olympische Spiele 776 v. Chr.), die Verbreitung eines einheitlichen Alphabets phönizischen Ursprungs und schließlich die Annahme einer allgemeinen nationalen Bezeichnung, nämlich «Hellenen», formte das Gesicht der Nation, die letzten Endes ihre Identität fand und begann, Geschichte zu machen.

Die Archaische Zeit (700 - 480 v. Chr.)

Diese Zeit ist gekennzeichnet durch die Entwicklung und Konsolidierung der wesentlichen Züge griechischer Kultur. Steigende Bevölkerungszahlen, Landmangel und politische Zwistigkeiten brachten eine neue große Kolonisationsbewegung mit sich. Eine stattliche Anzahl griechischer Kolonien wurde in Unteritalien und Sizilien (Großgriechenland) und entlang der kleinasiatischen Küste gegründet. Das politische Konzept vom «Stadtstaat», das das Hauptmerkmal der griechischen Welt blieb, und die kulturelle Tradition, die jeder Region eigen ist, sind die Wurzeln der Vielfältigkeit des geistigen und künstlerischen Ausdrucks, der diese Zeit charakterisiert. Die erstaunlichen Überreste des geschriebenen Wortes und der Kunst dieser Periode beweisen die große Bedeutung der archaischen Jahrhunderte hinsichtlich der griechischen Klassik.

Die Klassische Zeit (480 - 338 v. Chr.)

Die Siege über die Perser (5. Jh.) gaben dem Hellenismus großen Auftrieb, besonders Athen nahm die Gelegenheit wahr, seine Macht zu vergrößern, um so um 460 v. Chr. herum die Höhe seines Wohlstandes zu erreichen. Nie hatten Kunst und Geist zusammen solche Fortschritte gemacht und so plötzlich ein solches Stadium der Vollendung erlangt. Der zerstörerische Peloponnesische Krieg (431 - 404 v. Chr.), der Athen und Sparta gleichermaßen verwüstete, konnte Athens Weg nicht aufhalten oder verzögern. Das vierte Jahrhundert war ein klassisches Jahrhundert, das Künstler und Philosophen hervorbrachte.

Die Zeit des Hellenismus (338 - 146 v. Chr.)

In der Zwischenzeit tauchte innerhalb der griechischen Welt eine neue politische Macht auf: Den bis dato isoliert in ihrem eigenen Lande lebenden Mazedonen gelang es unter ihrem mannhaften König Philipp II, die meisten griechischen Städte und schließlich Athen zu unterwerfen.

Die historische Schlacht von Chaeronia (338 v. Chr.) bedeutete das Ende der unabhängigen Stadtstaaten, die - obwohl gezwungenermaßen zum ersten Mal eine einzige Nation unter Mazedoniens Herrschaft wurden. Nach dem Tod Alexanders des Großen (323 v. Chr.) verfiel das von ihm mit Hilfe seiner berühmten Feldzüge gegründete große Reich und wurde unter seinen Generälen und Landverwesern aufgeteilt.

Die wirklichen Zentren griechischer Kultur und Zivilisation waren in Alexandria in Ägypten, Seleukia in Syrien und Pergamon in Kleinasien usw., während Griechenland selbst die Rolle einer unbeachteten Provinz zufiel, zerrissen von Streit und mystischen religiösen Kulten, die die Soldaten aus Alexanders Heer aus dem Osten mitgebracht hatten.

Die Römische Zeit (146 v. Chr. - 395 n. Chr.)

Ein griechischer Staat nach dem anderen fiel unter römische Herrschaft. Griechenland selbst wurde römische Provinz (146 v. Chr.). Dennoch haben sich die Worte des Dichters Horaz bewahrheitet, dass das besiegte Griechenland seine Eroberer besiegt habe: Die große griechische kulturelle Tradition übte entscheidenden Einfluss auf die römische Zivilisation aus, die sich durch letztere in der gesamten westlichen Welt ausbreitete.

Athen erlebte eine kulturelle und wirtschaftliche Blüte: zahlreiche Bauten werden von den Römern und hellenistischen Herrschern errichtet (Agora, Attalos-Stoa, Eumeneshalle). Im 1. Jahrhundert v. Chr. unterstützt Athen Mithridates VI. gegen Rom und wird deswegen 86 v. Chr. von Sulla zerstört. 27 v. Chr. wird Griechenland eigene römische Provinz "Achaia". Im 1. Jahrhundert n. Chr. erfolgt durch die Pax Augusta ("Kaiserfriede") eine Beruhigung des Römischen Weltreiches und der langsame Wiederaufstieg Griechenlands. Von 49 bis 54 predigt der Apostel Paulus in Griechenland (Athen, Korinth und Thessaloniki), das zu einem Zentrum des Christentums wird.

Unter den folgenden römischen Kaisern, besonders unter dem griechenfreundlichen Hadrian (117-138) entstehen großartige Bauten in Athen (Olympieion vollendet, Hadriansbogen, Hadriansbiblothek). Im 3. Jahrhundert n. Chr. erfolgt der Niedergang des römischen Reiches.

Das Byzantinische Reich (395 - 1453)

Im Jahre 395 wird das zerfallende Römische Reich geteilt, Griechenland gehört ab sofort zu Ostrom. Der neue Reichshauptstadt wird Konstantinopel, das in Byzanz umbenannt wird.

Im 5. Jahrhundert verbietet Kaiser Theodosios II. die Mystrien, wodurch Eleusis und Olympia verfallen. Im 6. Jahrhundert schließt Kaiser Justinian die heidnischen Philosophenschulen Athens. Die griechischen Tempel werden zerstört oder in Kirchen umgewandelt (Parthenon, Erechtheion, Hephaisteion): Slawische Stämme beginnen nach Griechenland vorzudringen, teils durch kriegerische Einfälle, teils durch Unterwanderung, was zu allgemeinem Niedergang führt. Seeräuber suchen die Küstengebiete heim. Im 10. Jahrhundert gelingt es den byzantinischen Kaisern, vor allem dem "Bulgarentöter" Basileios II. (976-1025), die Slawen zurückzudrängen und die Reichsgewalt wieder zu festigen. Es folgt die Blütezeit der mittelbyzantinischen Epoche (Klöster Daphni, Hosios Loukas, Nea Moni auf Chios). Die byzantinische Mosaikkunst erlebte eine Blütezeit. 1054 trennt sich die griechisch-orthodoxe Kirche von der römisch-lateinischen (Schisma). Es beginnen die Kreuzzüge und es gibt zunehmend westöstliche Spannungen.

Im 4. Kreuzzug erobern die fränkischen Kreuzritter Konstantinopel und rufen dort ein "Lateinisches Kaisertum" aus und besetzten Griechenland. Byzantinische Teilbereiche entstehen (Trapezunt, Epirus, Mistra). Athen steht nacheinander unter fränkischer (1204/1311), katalanischer (1311/1387) und florentinischer Herrschaft (1387/1458)

Das Osmanische Reich (1453 - 1821)

Am 29. Mai 1453 unterlag Konstantinopel, seit 1000 Jahren Hauptstadt des byzantinischen Reiches, den überlegenen Streitkräften von Sultan Mehmed II.. 1456 wird Athen, 1458 die Akropolis türkisch. In den folgenden Jahrhunderten lassen die ständigen veneziansich-türkischen Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft im ägäischen Raum Griechenland veröden.

In dieser Zeit flohen viele Griechen ins Ausland, Venedig, Großbritannien und auf viele Inseln die nicht von den Türken beherrscht waren, wie Korfu oder Kreta (venezianisch). Aufstände wurden von den Türken immer blutig niedergeschlagen.

Der Unabhängigkeitskrieg (1821-1830)

1821 beginnt der griechisch Freiheitskampf, unterstützt durch Philhellenen aus aller Welt (u. a. Lord Byron, Ludwig I. von Bayern). Im März 1821 begann mit Offensiven in den Donauländern, dann auf dem Peleponnes der Unabhängigkeitskrieg. Die Streitkräfte, zum größten Teil Klephten aus den wilden Bergregionen, eroberten zunächst große Gebiete. Das Massaker von Chios, mit dem die Türken Rache für ihre Toten nahmen, empörte 1822 die europäische Öffentlichkeit und inspirierte den Maler Delacroix zu einem seiner ergreifendsten Werke. Lord Byron eilte 1822 zur Ionischen Insel Kefallonia, um den Aufstand zu unterstützen, starb aber zwei Jahre später in Missolongi an Malaria.

Nach den ersten türkischen Erfolgen kam es 1823 und 1825 zu einem Streit in der griechischen Armeeführung und internen Kämpfen. Darauf erlitten die Unabhängigkeitskämpfer 1826 mit dem Verlust von Missolongi und dem Fall der Akropolis von Athen schwere Niederlagen. In dieser fast aussichtslosen Lage griffen die Großmächte ein: Am 20. Oktober 1827 vernichteten die russischen, britischen und französischen Seestreitkräfte die türkisch-ägyptische Flotte von Navarino.

Die Autonomie Griechenlands wurde 1829 im Vertrag von Adrianopel anerkannt und 1830 im Londoner Protokoll bestätigt.

Das Königreich Griechenland (1830 - 1922)

1830 erklären die Großmächte Griechenland zum souveränen Königreich und setzten den bayrischen Prinzen Otto zum ersten griechischen König ein. Daher auch der farbliche Zusammenhang zwischen der griechischen und der bayrischen Flagge. Dies ist der Grundstock des heutigen Griechenlands. Griechenland umfaßt weniger als die Hälfte des heutigen griechischen Staatsgebietes (nur Peleponnes, Attika, Euböa und die Kykladeninseln): Erste Hauptstadt des freien Griechenlands wird die Stadt Nafplio.

1835 wird Athen zur Hauptstadt erklärt und im klassizistischem Stil wieder aufgebaut. Gleichzeitig erfolgt die Rekonstruktion der antiken Bauten auf der Akropolis, 1862 wird Otto abgesetzt, ihm folgt 1863 der Dänenprinz Wilhelm, der als Georg I. den griechischen Thron besteigt. Die Ionischen Inseln (bisher britisch) kommen zu Griechenland hinzu. In dieser Zeit werden durch den Ministerpräsidenten Trikoupis wirtschaftliche Reformen durchgeführt und umfassende öffentliche Arbeiten in Auftrag gegeben, darunter auch der Durchbruch des Isthmus von Korinth (1882-93). Gewerbe und Handel erfuhren in dieser Zeit einen erheblichen Aufschwung.

In den Balkankriegen (1911/13) gewinnt Griechenland Epirus, Mazedonien, Kreta und Samos. 1913 wird Georg I. in Thessaloniki ermordet, ihm folgt sein Sohn Konstantin I.. 1917 muß Konstantin zurücktreten, ihm folgt sein (zweiter) Sohn Alexander (1917/20). Griechenland tritt an der Seite der Westmächte in den Krieg ein und erhält Westthrakien. Konstantin kehrt zurück und erhält Ost-Thrakien. 1921 versuchen die Griechen mit alliierter Duldung auch noch die griechischen Gebiete Kleinasien zu erobern, werden aber von den Türken (unter Atatürk) zurückgeschlagen (Katastrophe von Smyrna), müssen einen Teil der gewonnenen Gebiete zurückgeben und 1,5 Millionen Flüchtlinge aufnehmen. Konstantin tritt zugunsten seines (ersten) Sohnes Georg zurück.

Die Neuzeit (1922 - 1981)

Von 1924 - 1935 ist Griechenland Republik, hauptsächlich unter der Führung von Venizelos (der die Politik Griechenlands schon seit 1910 maßgebend bestimmt hatte). Ständige innenpolitische Auseinandersetzungen führen dazu, daß Georg II. 1935 wieder zurückgerufen wird, doch führt in Wirklichkeit General Metaxas die Regierung. Als Metaxas am 28. Oktober 1940 ein italienisches Ultimatum ablehnte, bedeutete das den Kriegseintritt Griechenlands auf Seiten der Alliierten. Mussolini greift Griechenland an (1940), wird im Frühjahr 1941 von Hitler unterstützt, so dass Griechenland von italienischen und deutschen Truppen besetzt wird. Die griechische Regierung ging ins Exil nach Ägypten und London. Mit britischer Unterstützung organisierten royalistische und kommunistische Partisanengruppen den Widerstand, auf den die Wehrmacht mit brutalen Repressionen und Geißelerschießungen antwortete (siehe Kalavrita). 1944 rücken die alliierten Truppen ein, mit ihnen kehrt die griechische Exilregierung zurück.

Der Bürgerkrieg zwischen Royalisten und Kommunisten beginnt. 1946/47 ist wieder Georg II. griechischer König, nach seinem Tode 1947 folgt ihm sein Bruder Paul, der bis 1964 regiert. Nach seinem Tode besteigt sein junger Sohn Konstantin II. den Thron. Nach heftigen, innenpolitischen Kämpfen übernehmen 1967 Militärbefehlshaber die Macht. Konstantin geht nach Rom ins Exil. 1974 Rückkehr zur Demokratie, ausgelöst durch die Zypernkrise. Durch einen Volksentscheid wird die Monarchie abgeschafft, Griechenland zur Republik erklärt.

Seit 1975 hat Griechenland eine neue Verfassung. 1981 trat Griechenland der EG bei und erstmals übernahm mit Andreas Papandreou ein sozialistischer Ministerpräsident die Regierung.

Heute (1981 - 2024)

Der kurzen Amtsperiode der Nea Dimokratia unter Konstantinos Mitsotakis folgte erneut eine Regierung der PASOK unter Andreas Papandreou. Die Außenpolitik war nun nicht mehr von einer Sonderrolle Griechenlands geprägt, sondern von einer starken europäischen Ausprägung. Innenpolitisch wurden zahlreiche Reformen durchgeführt.

Die Politik der europäischen Orientierung wurde im Wesentlichen auch von der Regierung der Nea Dimokratia unter Kostas Karamanlis weitergeführt, setzte jedoch keine eigenen Impulse. Nach zwei Wahlperioden erfolgte ein Regierungswechsel. Unter dem neuen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou von der PASOK wurde die Überschuldung des Landes offenbar und führte zu einem rapiden Verlust an Kreditwürdigkeit auf den internationalen Märkten, in dessen Folge das Land in Zahlungsschwierigkeiten geriet.

Zur Bewältigung wurde der EU-Finanzexperte Loukas Papadimos zum Ministerpräsidenten bestimmt. Aus den Neuwahlen ging Antonis Samaras von der Nea Dimokratia als Sieger hervor und bildete mit der PASOK eine Koalitionsregierung, jedoch gewann auch die linke Opposition an Stimmen.

Bei den Parlamentswahlen vom 25. Januar 2015 errang die Linkspartei SYRIZA 149 von 300 Mandaten. Alexis Tsipras wurde am 26. Januar 2015 als Ministerpräsident Griechenlands vereidigt. Nach dem Sieg bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im September 2015 konnte Alexis Tsipras erneut eine Regierung bilden.

Im Zuge der Finanzkrise wurden nicht nur Löhne und Renten, sondern auch Ausgaben für das Gesundheitswesen gekürzt und Häfen, Flughäfen, Unternehmen und sogar ganze Inseln verkauft.

Die privatisierten Häfen wurden umgebaut und die Hafengebühren drastisch erhöht, was zusätzlich zu den enormen Auswirkungen auf die Tourismusbranche noch erhöhte Preise für Flug- und Fährgesellschaften und somit für die Touristen nach sich zog.

Die Wirtschaft des Landes, die sich hauptsächlich auf Landwirtschaft und Tourismus stützt, litt stark darunter.

Heute erholt sich Griechenland langsam wieder, allerdings kann man durchaus sagen, dass das Land ein paar Jahrzehnte in der Zeit zurückgefallen ist.

Die Flüchtlingskrise schafft in dem ohnehin schon angeschlagenen Land noch mehr Probleme. Noch vor ein paar Jahren dachte man über einen Ausschluss Griechenlands aus der EU nach und heute soll eben dieses Land unsere Außengrenze schützen.

Wie leben die Griechen heute?

Jedenfalls anders, als sich das die Bildungsenthusiasten des 19. Jahrhunderts vorgestellt haben - und in ihrem Gefolge viele Touristen sich auch noch heute vorstellen, die wie Iphigenie mit ihrer schönen Seele ein Griechenland suchen, das es so nicht gibt und wohl auch nie gegeben hat. Die Folge war und ist nur allzu oft eine (zumindest anfängliche) Enttäuschung.

Die Schlagworte, die einem bei Griechenland fast unwillkürlich einfallen: Wiege des Abendlandes, Mutterland der Demokratie, der Philosophie usw. usw., sind ja gar nicht falsch: nämlich soweit sie sich auf die abendländische Bildungstradition beziehen. Mit dem Leben der heutigen Griechen haben sie allerdings wenig zu tun. Und selbst in der Blütezeit der (alt)griechischen Kultur, dem 5. und 4. Jahrhundert v.Chr., mit der wir Griechenland allzu leicht und allzu einseitig identifizieren, hatte die Masse der Bevölkerung (von den Sklaven gar nicht zu reden) mit diesen hehren Ideen und Idealen wohl weniger zu tun, als wir uns das oft einbilden. Davon ganz abgesehen: inzwischen sind 2500 Jahre vergangen - eine Geschichte voll Blut und Tränen. Seit 2000 Jahren ist Griechenland christlich, mehr als 1200 Jahre stand es unter der Herrschaft von Konstantinopel/Byzanz, eine Tradition, die auch in der 400jährigen Türkenherrschaft nicht abriss, hat doch die orthodoxe byzantinische Kirche Griechenland während der islamischen Fremdherrschaft überhaupt am Leben erhalten! Niemand kann es wundern, dass diese Tradition die heutigen Griechen unendlich viel stärker geprägt hat als die in Westeuropa so geschätzte antike Überlieferung.

Die klassischen Überreste, zu denen heute Millionen pilgern, waren noch vor 150 Jahren zum größten Teil verschollen und vergessen, und als Schliemann Homer wörtlich nahm (und so Troja, Mykene und Tiryns ans Licht brachte), betrachtete man ihn allgemein als einen Phantasten. Noch einige Punkte, die hierzulande gerne vergessen werden: in seiner ganzen vieltausendjährigen Geschichte war Griechenland niemals ein Nationalstaat, sondern ein Ineinander, Durcheinander und Gegeneinander von Stadtstaaten und Regionen, soweit nicht eine fremde Macht (das Makedonische, Römische, Byzantinische, Osmanische Reich) von außen her für Ordnung sorgte, die oft genug eine Friedhofsruhe war. Erst 1832 entstand das "Königreich" Griechenland, ein fast lächerlicher Rumpfstaat, der noch nicht einmal die Hälfte des heutigen Staatsgebietes umfasste und von der Gnade oder Ungnade der europäischen Großmächte abhing. Wenn man nach den Ursachen des griechischen Partikularismus sucht, braucht man nicht lange zu fahnden. Der außerordentlich starke griechische Familiensinn (und die damit verbundene Vetternwirtschaft) ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass über Jahrtausende hinweg die Familie die einzige funktionierende Ordnung überhaupt war.

Zweitens: die Griechen sind kein rassisch einheitliches Volk, sondern ein fast abenteuerliches Völkergemisch. Wahrscheinlich einer der Gründe für ihre Begabung. Schon die Griechen der klassischen Zeit hatten - nach 1000 Jahren! - mit den "blonden Achäern", von denen Homer spricht, wohl kaum mehr etwas gemein. Während des ganzen Mittelalters drangen starke slawische (vor allem albanische) Scharen in Griechenland ein. Erstaunlicherweise wurden sie alle integriert, und sie sind heute Griechen, weil sie sich als Griechen fühlen! Integriert wurden sie durch die griechische Sprache und die durch sie vermittelte Kultur und durch das Band der gemeinsamen orthodoxen Religion. Trotzdem bildeten sich starke regionale Unterschiede heraus. So ist z.B. das Temperament der aufgeschlossenen Inselgriechen höchst verschieden von dem der verschlossenen Bewohner des Pindus oder auch der abgelegenen Bergregionen Kretas.

Drittens: Griechenland war und ist ein armes Land, das seine Bevölkerung nie richtig ernähren konnte. Schon die vielbewunderte griechische Kolonisation des ersten Jahrtausends v. Chr. (von der Krim bis nach Marseille) hatte ihren Grund nicht nur in Kühnheit und Unternehmungsgeist, sondern auch ganz schlicht in der Not, die zur Auswanderung zwang. Im Mittelalter und bis in die Neuzeit hinein lebten ganze Inseln nicht nur vom Seehandel, sondern eben auch vom Seeraub - es blieb ihnen gar nichts anderes übrig. Als im 19. und 20. Jahrhundert die Bevölkerung gewaltig zunahm, führte dies zu starken Auswanderungsbewegungen, vor allem nach Australien und in die USA. Nach dem 2. Weltkrieg auch in die Bundesrepublik, in der z. Zt. fast 2 Millionen Griechen leben - gegenüber 9,5 Millionen im Mutterland.

Gleich stark (aber viel problematischer) ist die Binnenwanderung. Die Dörfer veröden (vor allem in den Bergregionen und auf den Inseln), zwei Drittel der Bevölkerung drängen sich in den Städten, vor allem in Athen und Saloniki, in denen über die Hälfte der Bevölkerung wohnt. (Allein in Athen/Piräus etwa 4 Millionen!) Der freundliche Fischer, der still seine Netze flickt, und der alte Mann auf dem Esel, der seinem Dorf zuzockelt, sind also keineswegs mehr repräsentativ für die Gesamtbevölkerung, und wer einmal gesehen hat, welch kümmerlichen Fang besagter Fischer nach einer arbeitsamen Nacht ans Land bringt und mit welch unsäglicher Mühe der Bauer seinen kargen Acker bearbeitet, wird den Drang in die Großstadt mit ihren (oft nur vermeintlich) größeren Chancen leicht verstehen. Etwas überspitzt und rüde gesagt: der Tourist, der sich nur auf den Inseln oder in den Küstendörfern (von den Hotelghettos noch gar nicht zu reden) aufhält, sieht eine höchst photogene scheinbare Idylle, die mit der harten griechischen Realität nur wenig zu tun hat, und wer gar nicht erst hinfährt, weil er glaubt als Deutscher nicht erwünscht zu sein, der sieht noch nicht mal das. Der wahre Griechenfreund wird nicht nur Sonne, Meer und Säulen tanken, sondern auch die Griechen, seine Gastgeber, kennenlernen wollen. Sie sind sehr dankbar dafür, wenn sie das merken. Und der Tourist, der sich zum Gast gemausert hat, wird reichlich belohnt. Denn eines ist wirklich seit der Antike gleichgeblieben: in Griechenland ist der Mensch das Maß aller Dinge.